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Zerstörung, Verfolgung und Vernichtung

Die Synagoge wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört. Die Aufnahme stammt vermutlich vom folgenden Tag. © Stadtarchiv Erfurt

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 eilte der Synagogendiener Hermann Kormes hier auf diesen Dachboden. Seine Dienstwohnung lag direkt darunter. Gegen Mitternacht war er mit seiner Frau nach Hause zurückgekehrt. Willi Kormes, der in der Nähe wohnte, hatte seinen Bruder noch nach Hause begleitet, um gemeinsam nach dem Rechten zu schauen. Es schien alles in Ordnung, doch die Ruhe trog. Was dann geschah, sagte Hermann Kormes 1963 in Ermittlungen gegen die Brandstifter aus:


"In unserer Wohnung sind meine Frau und ich gleich schlafen gegangen. Wir lagen gerade im ersten Schlaf, als wir von einem ungeheuren Explosionsknall aufwachten. Ich lief zu einer Bodenluke, von der aus ich den Innenraum der Synagoge übersehen konnte. Der ganze Innenraum war bereits ein Flammenmeer. Ich habe mich dabei nicht weiter aufgehalten, sondern habe von dem Telefon aus, das sich in meiner Wohnung befand, die Feuerwehr angerufen. […] Dann zogen meine Frau und ich uns notdürftig an und eilten die Treppe hinunter. Als wir die Treppen hinunterliefen, hörten wir, dass Leute vom Innenraum der Synagoge her die Tür zum Treppenhaus mit Äxten einschlugen. Es handelte sich um die Tür im ersten Stock, die vom Chor ins Treppenhaus führte. Meine Frau und ich kamen aber noch an der Tür vorbei, bevor sie aufgebrochen wurde. Wir liefen zur Straße hin und die Straße ein Stück entlang, um in die Nähe des katholischen Krankenhauses zu kommen. Wir kamen aber nicht weit, da holten uns zwei Mann ein. Diese Leute trugen Zivil. Der eine bedrohte mich mit einer Pistole, und drehte mir dann den Arm auf den Rücken. Ich bekam auch mit dem Handgriff eines Spazierstocks einen Schlag über den Kopf. Die Männer brachten mich zum Gebäude der SA-Brigade. Dieser Weg führte nochmals an der brennenden Synagoge vorbei."


Novemberpogrom 1938
Die Zerstörung der Erfurter Synagoge war Teil eines von der NSDAP-Führung für diese Nacht angeordneten Terrors gegen die jüdische Bevölkerung. Im ganzen Reich plünderten und zerstörten SS- und SA-Männer unter Beteiligung von Bürgern Synagogen, jüdische Friedhöfe, Geschäfte und Wohnungen. Im Erfurter Regierungspräsidium trafen am Abend die Instruktionen hoher Parteifunktionäre ein: Die Synagoge werde brennen, die Feuerwehr dürfe nicht eingreifen, nur umliegende Häuser schützen. SA- und SS-Männer umstellten die Synagoge und brachen die Türen auf. Sie stahlen wertvolle Torakronen und Silberbehänge sowie Akten aus dem Gemeindearchiv und Bücher aus der Bibliothek. Die Männer zerschlugen mit Äxten Mobiliar, Türen und Fenster. Überall wurde Benzin verspritzt und angezündet. Oberbürgermeister Walter Kießling war vor Ort und betrachtete mit vielen weiteren Schaulustigen die Zerstörung.


Inhaftierung in Buchenwald
Hermann Kormes traf seinen Bruder Willi in der Turnhalle der Oberrealschule, heute Humboldtschule, wieder. Dorthin verschleppten SS- und SA-Leute systematisch die jüdischen Männer mitten in der Nacht aus ihren Wohnungen. Auch Polizisten waren an den Misshandlungen in der Turnhalle beteiligt. 189 Erfurter Juden wurden in den frühen Morgenstunden des 10. November mit Bussen in das nahegelegene KZ Buchenwald verschleppt. Über die Ankunft im Konzentrationslager berichtete der Rechtsanwalt Dr. Harry Stern:


"Wir mussten auf dem Appellplatz rennen, während Kerle hinter uns her waren und uns mit Peitschen und Stöcken schlugen, wobei viele blutige Köpfe davontrugen. Wir standen den ganzen Tag ohne Essen und ohne dass sich jemand im Wesentlichen um uns gekümmert hätte. Wir wussten nicht, wo wir unsere Notdurft verrichten sollten, auf diesbezügliche Fragen bekamen wir Ohrfeigen, oder es wurde uns mit dreckigen Bemerkungen geantwortet. Als es dunkel geworden war, wurden wir in eine Baracke gejagt, ohne dass wir Nahrung erhalten hatten."


Ausmaß der Gewalt und Selbsthilfe    
In Buchenwald kamen vier Erfurter ums Leben, viele wurden schwer verletzt. Als die Verhafteten in den nächsten Wochen wieder aus dem KZ Buchenwald freikamen, organisierten die Frauen der jüdischen Gemeinde Erfurt erste Hilfe. Dina Schüftan, die Witwe des 1936 verstorbenen Rabbiners Dr. Max Schüftan, versorgte gemeinsam mit anderen Frauen die Entlassenen am Bahnhof Weimar. Sie setzte sich unermüdlich für die verfolgten Gemeindemitglieder ein. Ihre Wohnung in der Friedrichstrasse 13 diente als provisorisches Gemeindezentrum. Hier wurde G´ttesdienst gefeiert, arbeitete das Gemeindebüro und wurde später auch ein Behandlungsraum für jüdische Patienten untergebracht. Im Januar 1939 bezeugte die Synagogengemeinde:


"Worte reichen nicht aus, um die Tätigkeit zu würdigen, die Frau Schüftan in schwerer und schwerster Zeit entfaltete. Zahllos sind die Personen, die dank ihrer Arbeit vor der Verzweiflung bewahrt wurden. Zahllos diejenigen, die einzig und allein durch ihre Arbeit zur Berufsumschichtung und zur Auswanderung gebracht wurden. Zahllos sind diejenigen, denen ihr Rat und ihre stets vorhandene Hilfsbereitschaft die Rettung bedeuteten.
Vertreibung und Vernichtung."


Die Stadt Erfurt verlangte von der Gemeinde, den Abriss der Synagogenruine zu bezahlen. Auch die zwei Kanister Benzin zum Anzünden des G´tteshauses stellte sie ihr in Rechnung. Die Synagogengemeinde konnte die geforderte Summe nicht aufbringen, da die Gestapo ihr Konto gesperrt hatte. So zwang die Stadt sie, ihr das Synagogengrundstück zu verkaufen. Auf den Kauferlös hatte die Gemeinde allerdings keinen Zugriff. Am 17. März 1939 übernahm die Stadt das Gelände und nutzte es als Lagerplatz.


Die Gewaltexzesse und die zunehmende Verfolgung führten zu einer Fluchtwelle unter den Jüdinnen und Juden aus Deutschland. Doch vielen gelang es nicht, sich in Sicherheit zu bringen. Dina Schüftan, die andere Gemeindemitglieder so intensiv bei ihrer Auswanderung unterstützt hatte, wurde am 2. März 1943 aus Erfurt in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. 1932 hatte man 1.290 Jüdinnen und Juden in Erfurt gezählt. Sie alle wurden im Nationalsozialismus zum Ziel antisemitischer Verfolgung. Hinzu kamen viele, die sich selbst nicht als jüdisch verstanden, aber von den Nationalsozialisten aufgrund ihrer jüdischen Vorfahren verfolgt wurden. Hunderte Erfurterinnen und Erfurter wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Jene, die flüchten konnten, verloren Menschen, die ihnen nahestanden, und alles, was ihr bisheriges Leben ausgemacht hatte.