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Baal Kore

Der „Vorleser“ (Baal Kore) teil sich mit dem „Vorsänger“ (Chazan, [Kantor][1] ) und dem [Rabbiner][2] oder der [Rabbinerin][2] die liturgischen Rollen im jüdischen Gottesdienst in der [Synagoge][3]. Seine Aufgabe ist es, den wöchentlichen Abschnitt aus der [Tora][4] vorzulesen. Ein gutes Verständnis der Heiligen Schrift ist dabei Voraussetzung, wird die Tora doch meist ohne Satzzeichen und Vokale geschrieben. Außerdem ist es erforderlich, die Te’amim zu kennen. Das sind Zeichen, die angeben, wie die Tora „gesungen“ werden soll. Das Amt des Baal Kore wird traditionell sehr hoch geschätzt, ist er doch der Übermittler der Tora von Mose am Sinai. In manchen Gemeinden werden die Rollen des Kore und des Chazan von einer einzigen Person eingenommen.


[1]: "Kantor / Kantorin"

[2]: "Rabbiner / Rabbinerin"

[3]: "Synagoge"

[4]: "Tora"

Bammel

Jemand, der „Bammel hat“, fürchtet sich vor etwas, vor einer Prüfung zum Beispiel oder vor einem Bewerbungsgespräch. Der Ausdruck kommt wahrscheinlich aus der hebräischen Sprache, wo Baal Emah „der Furchtsame“ bedeutet. Über das Jiddische oder das Rotwelsche kam dieser Begriff dann wohl in die deutsche Sprache. „Massel haben“ wäre dann das Gegenteil von „Bammel haben“ und bezeichnet das unverhoffte Glück. Eine andere Erklärung verbindet „Bammel“ mit „baumeln“ und dem Hin- und Herschwingen einer Glocke, das dann auf das menschliche Herz übertragen wurde, welches hin- und herschwingt, wenn es nervös ist oder Angst hat. Dieser zweiten Möglichkeit schließt sich übrigens auch der Duden an.

Bar Mizwa / Bat Mizwa

Die religiöse Volljährigkeit oder Mündigkeit von Mädchen und Jungen wird mit dem Ritual Bar Mizwa bzw. Bat Mizwa gefeiert. Mädchen werden nach dem 12. Geburtstag und Jungen nach dem 13. Geburtstag zur „Tochter des Gebots“ (Bat Mizwa) oder zum „Sohn des Gebots“ (Bar Mizwa) und übernehmen ab diesem Zeitpunkt alle religiösen Rechte und Pflichten. Nun gehören sie zur jüdischen Gemeinschaft und zählen zur Gemeinschaft der Zehn (Minjan), die nötig ist, um einen Gemeindegottesdienst in der [Synagoge][1] zu feiern. Erste schriftliche Hinweise auf dieses Ritual gibt es aus dem Mittelalter, aber laut einer alten Überlieferung wurde das Fest schon im 1. Jahrhundert u.Z. in Jerusalem begangen. Zur Vorbereitung der religiösen Zeremonie erhalten die Jugendlichen einen speziellen etwa einjährigen Unterricht, der sie darauf vorbereitet, einen [Tora][2]-Abschnitt zu lesen und andere religiöse Pflichten zu erfüllen. Manche jüdischen Jugendlichen müssen dafür erst Hebräisch lernen. 

In der Synagoge wird die Zeremonie am [Schabbat][3] nach dem jeweiligen Geburtstag vorgenommen. Dann wird der / die Jugendliche zum ersten Mal nach vorn gerufen, spricht die Segenssprüche über die Tora, liest einen Abschnitt aus der Tora oder den entsprechenden Prophetenabschnitt vor und hält eine kurze Rede. Ein Fest mit der Gemeinde und der Familie schließt sich an. 

Im orthodoxen Judentum wird die Bat Mizwa von Mädchen zwar speziell gewürdigt, eine Zeremonie wie die für Jungen gibt es aber nicht. Oft wird die Bat Mizwa nur zu Hause begangen. In liberalen jüdischen Gemeinden aber wird auch ein Mädchen zur Toralesung aufgerufen. Dort gibt es sogar [Rabbinerinnen][4], die Gemeinden leiten.


[1]: "Synagoge"

[2]: "Tora"

[3]: "Schabbat"

[4]: "Rabbiner / Rabbinerin"

Beerdigung und Trauerriten

Liegt ein Mensch im Sterben, spricht man im Judentum für oder mit dem/der Sterbenden das Sündenbekenntnis „Widuj“ und das „Schma Jisrael“ aus 5. Buch Mose 6,4ff, das ähnlich dem christlichen Glaubensbekenntnis die Grundlagen des Glaubens zusammenfasst: „Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige (ist) einzig.“ Wenn die Person verstorben ist, bedeckt man die Augen des/der Toten mit einem weißen Tuch und zündet eine Kerze an. Danach werden Männer oder Frauen aus der Gemeinde gerufen, die den Toten oder die Tote rituell reinigen und in weiße Kleider hüllen. Der/die Tote wird in einen schlichten Sarg gelegt, vielleicht wird ein Säckchen Erde aus Israel hinzugefügt. Das soll die Sehnsucht nach Israel und [Jerusalem][1] verdeutlichen, auch weil dort nach der Überlieferung die Auferweckung der Toten beginnen wird (und der/die Verstorbene somit zu den „Ersten“ gehören wird). Manchmal werden die Augen mit Tonscherben bedeckt. Wenn möglich, findet die Beerdigung innerhalb von 24 Stunden statt. Auf dem [Friedhof][2] beginnt die Trauerfeier mit Gebeten, gesungen wird nicht. Der [Rabbiner][3] oder die Rabbinerin und manchmal auch andere Personen halten Trauerreden. Als Ausdruck der Trauer reißen die Angehörigen ein Stück ihrer Kleidung ein. Danach führt ein Trauerzug zum frisch ausgehobenen Grab. Der Sarg wird hineingelassen und alle Anwesenden geben drei Schaufeln Erde hinzu, während sie den Satz „Du bist Erde und sollst zu Erde werden“ sprechen. Psalm 16 und das Heiligungsgebet Kaddisch schließen die Trauerfeier ab. Feuerbestattungen sind unüblich, auch Aufbahrung oder Einbalsamierung werden nicht durchgeführt. Nach der Beerdigung beginnt die Totenwache, die „Schiwa“ genannt wird und sieben Tage andauert. Die Trauernden sind in dieser Zeit aller Verpflichtungen entbunden: sie müssen nicht arbeiten, keine Körperpflege betreiben, nicht zur [Synagoge][4] gehen. Besucher kommen in das Trauerhaus und begleiten die Familie für eine Weile, sie kondolieren und bringen fertig zubereitete Mahlzeiten. Alle Spiegel sind verhängt, damit sich die Trauernden nicht um ihr Aussehen sorgen, sondern nur um das Gedenken an den Verstorbenen. Nur der [Schabbat][5] unterbricht die Trauerwoche. 

Je nach Verwandtschaftsgrad wird die Trauerzeit nach einer Woche, einem Monat oder einem Jahr mit einer Gedächtnisfeier beendet. Die Trauerzeit endet spätestens nach einem Jahr, der sogenannten „Jahrzeit“. Jeweils am Todestag soll das „Kaddisch“ erneut gesagt und das Grab besucht werden. Einzelne Trauerbräuche richten sich nach den Traditionen in den Familien, sie können regional unterschiedlich sein und sich aufgrund der Frömmigkeit der Trauernden unterscheiden.


[1]: "Jerusalem"

[2]: "Friedhof"

[3]: "Rabbiner / Rabbinerin"

[4]: "Synagoge"

[5]: "Schabbat"

Beschneidung

Nach jüdischem Recht wird man als Jude geboren, wenn man eine jüdische Mutter hat. Konversionen zum Judentum sind eher selten. Juden beschneiden ihre Söhne am 8. Tag nach der Geburt und folgen damit dem biblischen Aufruf in Gen 17,10, den Bund mit Gott durch diesen Akt zu besiegeln. Die Beschneidung (hebräisch „Brit Mila“) symbolisiert den Bund zwischen Gott und Abraham bzw. Gott und Gottes Volk. Sie markiert den Eintritt in die jüdische Gemeinschaft und ist identitätsbestimmend. Sogar in der Zeit des Nationalsozialismus, als die Beschneidung als Zeichen der Religionszugehörigkeit vielleicht auch das Todesurteil bedeuten konnte, wurden jüdische Jungen weiterhin beschnitten, um das Gebot Gottes einzuhalten. Heute wird die Beschneidung von einem ausgebildeten Spezialisten, dem „Mohel“, durchgeführt. Sterile Bedingungen sind Voraussetzung. Die Beschneidung wird in allen Schichten des Judentums durchgeführt und meist auch in jüdischen Familien vorgenommen, die eigentlich säkular leben, also keine anderen jüdischen Bräuche einhalten. Zeitgleich mit der Beschneidung erfolgt die Namensgebung der männlichen Neugeborenen. Im modernen Judentum gibt es eine Diskussion darüber, wie Mädchen auf eine ähnlich bedeutungsschwere Weise in das Judentum eingeführt werden können, bezieht sich der Bund Gottes doch auf Männer und Frauen. Traditionell wird ein Mädchen am ersten [Schabbat][1]gottesdienst nach ihrer Geburt mit ihrem Namen versehen, manchmal auch am ersten Schabbatgottesdienst, bei dem die Mutter nach der Geburt wieder anwesend sein kann. Viele Gemeinden begehen diesen Gottesdienst in der [Synagoge][2] besonders festlich, um es den Familien mit neugeborenen Mädchen zu ermöglichen, die Geburt einer Tochter besonders zu feiern. Reform-[Rabbinerinnen][3] fordern aber immer wieder, dass jüdische Rituale auch deutlicheren Eingang in den Lebenszyklus von Mädchen und Frauen finden und schlagen zum Beispiel vor, dass neugeborene Mädchen das Ritual der Fußwaschung (hebräisch „Brit Rechiza“) nach Gen 18 durchlaufen. Seit etwa einem Vierteljahrhundert führten erste amerikanische Reformgemeinden dieses festliche und in der [Tora][4] verankerte Ritual ein. Inzwischen hat es sich auch in israelischen und osteuropäischen Reformgemeinden verbreitet.


[1]: "Schabbat"

[2]: "Synagoge"

[3]: "Rabbiner / Rabbinerin"

[4]: "Tora"

Dufte

Bevor „cool“ cool war und 2016 „fly sein“ zum Jugendwort des Jahres gekürt wurde, sagte man „dufte“. Dufte bedeutet gut, großartig, prächtig, schön, attraktiv. Ähnliche Bedeutungen haben die moderneren Begriffe „cool“ und „fly sein“,, die aus der englischen Sprache stammen.   Stark verbreitet war und ist der Begriff im Berliner Raum und in Norddeutschland. Wahrscheinlich stammt er jedoch aus dem Jiddischen und leitet sich vom Hebräischen „tov“, zu Deutsch „gut“ ab.  Im 19. Jahrhundert trat er im  Berlinerischen auf und bald danach in ganz Deutschland. Jetzt eher ungebräuchlich unter jüngeren Menschen, nutzt es der Rapper „Summer Cem“ in seinem Lied „Nike Airs“ wieder und singt: „heut‘ bau ich ein Haus für sie, denn uns geht es dufte“.

Einen guten Rutsch

Seit ungefähr 150 Jahren wünscht man sich im deutschen Sprachgebiet zum Neuen Jahr einen „guten Rutsch“. „Gut Rosch“ - das sagt man manchmal auch unter den jiddisch sprechenden Juden zum jüdischen Neujahrsfest [Rosch HaSchana][1], das in unseren Breiten im Herbst stattfindet.  Dabei bezieht sich „Rosch“ auf den Kopf, den Beginn des Jahres. „Rosch HaSchana“ heißt also „Kopf“, d.h. „Anfang des Jahres“. Wer nicht Jiddisch, sondern Hebräisch spricht, wünscht sich zum Neujahrsanfang „Shanah Tovah“: „Ein gutes (neues) Jahr!“.   Es wird oft vermutet, dass der „gute Rutsch“ in der deutschen Sprache vielleicht tatsächlich aus dem Jiddischen kommt. Aber ist das so? Oder vielleicht anders herum: wünscht man sich im Jiddischen „Gut Rosch“ im Sinne von „Ich wünsche dir einen guten Rosch HaShana - Feiertag“? Oder kommt „Rutsch“ von „Reise“, sodass der Wunsch „Einen guten Rutsch“ eigentlich „eine gute Reise“ bedeutet?


[1]: "Rosch HaSchana"

Hals und Beinbruch

Steht gerade das Abitur bevor oder vielleicht eine andere Prüfung? Tritt jemand auf einer Bühne auf? Na dann: „Hals- und Beinbruch!“ Auch diese Redewendung, die den guten Wunsch eigentlich in’s Gegenteil verkehrt, stammt wohl aus der jüdischen Tradition. Im Hebräischen wünscht man sich nämlich „hazlacha we beracha“, im Jiddischen „hatslokhe un brokhe“, was beides so viel bedeutet wie „Erfolg und Segen!“. Vielleicht stammt davon auch die englische Redewendung, die man ebenso wie „Hals- und Beinbruch“ anwendet, wenn man jemandem gerade das Gegenteil wünscht: „Break a leg.“

Hochzeit

Bei der Eheschließung unterzeichnet im [orthodoxen][1] Judentum allein der Bräutigam und im nicht-orthodoxen Judentum sowohl Braut als auch Bräutigam einen Ehevertrag, die Ketuba, im Beisein zweier Zeugen. Danach wird das Paar unter einem Baldachin, der „[Chuppa][2]“, getraut. Zur Trauung gehören Segenssprüche, das Überstreifen eines Rings an die Hand der Braut (im orthodoxen Judentum) oder das Austauschen von Ringen (im nicht-orthodoxen Judentum) sowie das Verlesen des Ehevertrags. Nach weiteren sieben Segenssprüchen unter dem Baldachin zertritt der Bräutigam ein Glas, was an die Zerstörung des [Tempels ][3]in [Jerusalem][4] erinnern soll. Ein ausgelassenes Fest der beiden sich vereinigenden Familien folgt. Im Judentum ist die Scheidung möglich. Sie wird rituell als Scheidungszeremonie durchgeführt und unterscheidet sich von der zivilen Scheidung.


[1]: "Orthodoxes Judentum"

[2]: "Chuppa / Baldachin"

[3]: "Tempel"

[4]: "Jerusalem"

Kantor / Kantorin

Der Chasan, „der Vorsänger“ oder Kantor, empfängt im Gottesdienst der [Synagoge][1]  zusammen mit dem [Kore][2] und dem [Rabbiner][3] oder der [Rabbinerin][3] die [Torarolle][4], die aus dem [Toraschrein][5] genommen wurde, an der [Bima][6]. Er oder sie hat dann die Aufgabe, aus der Torarolle vorzulesen bzw. im Sprechgesang vorzutragen. Die ersten Kantoren werden schon im römischen Reich erwähnt. Dort stellte diese Funktion eine ehrenhafte Aufgabe dar, die dem Gemeindeleiter gleich kam. Belege ab dem 9. Jahrhundert erwähnen vor allem seine musikalische Tätigkeit. Im Mittelalter wurde die Rolle des Kantors oft vom Vater auf den Sohn übertragen, und auch heute noch sind die Namen einiger bekannter Kantorenfamilie überliefert. Neben einer schönen Stimme gehören auch die genaue Kenntnis der Liturgie, der hebräischen Sprache und eine untadelige Lebensführung zu den Charakteristika eines Kantors oder einer Kantorin. Ausbildungsstätten für Kantoren und Kantorinnen gibt es vor allem in Israel, in den USA, in Großbritannien, aber auch in Deutschland. Hier bildet das Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam Kantoren und Kantorinnen aus. In liberalen Gemeinden können auch Frauen das Kantorenamt bekleiden. Sie werden dann Chasanot genannt.


[1]: "Synagoge"

[2]: "Baal Kore"

[3]: "Rabbiner / Rabbinerin"

[4]: "Tora"

[5]: "Toraschrein"

[6]: "Bima"

Koscher

Koscher bedeutet „rein“ oder auch „erlaubt“ und beschreibt die Voraussetzungen für den Verzehr von Speisen im Judentum. Diese Voraussetzungen, in ihrer Gesamtheit _Kaschrut_ genannt, sind vielfältig und werden bis heute diskutiert und ausgelegt. Wie streng man sie einhält und auslegt, liegt an der Frömmigkeitsrichtung der Familie und hängt von individuellen Details ab. 


Grundsätzlich kann gesagt werden, dass der Genuss von Blut verboten ist, weil man nach jüdischer Auffassung der Meinung ist, dass die Seele des Tieres im Blut lokalisiert ist. Deshalb werden Tiere nach der jüdischen Schlachtmethode, dem sogenannten Schächten, geschlachtet. Außerdem sind nur Säugetiere zum Verzehr geeignet, die Wiederkäuer sind und gespaltene Hufe haben, also Rind, Lamm und Ziege, nicht aber das Schwein. Geflügel ist koscher, nicht aber Raubvögel. Fische sind koscher, wenn sie Schuppen und Flossen haben, nicht aber Raubfische, Schalentiere und Meeresfrüchte. 


Außerdem verzichtet man im Judentum auf den gemeinsamen Genuss von Milch- und Fleischprodukten und wartet einige Stunden, um die jeweils andere Speise zu essen, sodass sich Fleisch und Milch nicht im Magen treffen. Diese Regel wirkt sich bis in den jüdischen Haushalt aus, denn dort gibt es meist getrenntes Geschirr, Töpfe und Besteck für Milchiges und Fleischiges, manchmal sogar getrennte Kühlschränke. 


Neben den Kategorien milchig und fleischig gibt es eine dritte Kategorie von Speisen, die als neutral gelten (_parwe_). Dazu gehören Eier, Gemüse und Früchte. Diese können sowohl mit milchigen als auch mit fleischigen Speisen verzehrt werden.

Meschugge

„Bist Du meschugge?“ heißt „Bist du verrückt?“ Der Begriff kommt aus dem Jiddischen (meschuggo) und dem Hebräischen (meschuga) und wurde wahrscheinlich im 19. Jahrhundert in’s Deutsche übernommen. Zuerst trat das Wort in Berlin und anderen Großstädten auf, verbreitete sich dann aber schnell weiter über den gesamten deutschen Sprachraum. Auch in der Literatur kommt er vor, und zwar vor allem in der humoristischen. Es bezeichnet einen Zustand der Verrücktseins, der aber nicht immer dauerhaft ist. Manchmal kann er auch eher liebevoll angewendet werden, wie zum Beispiel im Titel des Kinderfestivals „Meschugge“, das jährlich in Thüringen stattfindet. Wie dieser und andere Begriffe wie „eine Meise haben“ oder „nicht alle Tassen im Schrank haben“ in die deutsche Sprache einwanderten, beschreibt Christoph Gutknecht in seinem Artikel „Wenn’s am deutschen Verstand hapert, helfen jddische Begriffe“, der 2012 in der Jüdischen Allgemeine erschien:

Mischpoche

„Mischpoche“ oder „Mischpoke“ ist ein Begriff der Umgangssprache und bezeichnet eine  „Familie“ oder auch eine „Gemeinschaft“. Das entspricht dem wertfreien hebräischen Wort „Mischpacha“, das auch im Jiddischen verwendet wird. Wie viele jiddische Worte wurde aber auch dieses abwertend im 19. Jahrhundert in die deutsche Sprache übernommen und hat deshalb oft einen bitteren Beigeschmack. Dann bedeutet es „üble Gesellschaft“ oder „Bande“. Leistet ein solcher Begriff, wenn er bewusst oder unbewusst abwertend benutzt wird, ein Beitrag zur Judenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft? Dieser Frage ist der Journalist Ronen Steinke in seinem Buch „Antisemitismus in der Sprache: Warum es auf die Wortwahl ankommt“ nachgegangen.   

Mohel (Spezialist für Beschneidungen)

Die meisten jüdischen männlichen Säuglinge aus Familien, die sich der religiösen jüdischen Tradition verpflichtet fühlen, werden am achten Tag nach ihrer Geburt beschnitten. Diese Prozedur ist eines der wichtigsten Rituale im Judentum und geht auf den Bibelvers 1. Mose (Genesis) 17,10 zurück. Der Spezialist, der Beschneidungen vornimmt, wird „Mohel“ genannt.  


Die Beschneidung (hebräisch „Brit Mila“) wird in allen Schichten des Judentums durchgeführt und oft auch in jüdischen Familien vorgenommen, die eigentlich säkular leben, also keine anderen jüdischen Bräuche einhalten. Sie symbolisiert den Bund zwischen Gott und Abraham bzw. Gott und Gottes Volk und ist der Eintritt in die jüdische Gemeinschaft. Man hat sie schon in der Antike durchgeführt, wobei unklar ist, wann genau diese Tradition begann.  


Die Ausbildung zum Mohel dauert mehrere Jahre. Dabei wird den zukünftigen Mohalim (Plural von Mohel) nicht nur medizinisches Grundwissen beigebracht, sie müssen auch einen tadellosen Lebenswandel nachweisen und die Gebote des Judentums einhalten. Im Jahr 2012 praktizierten vier Beschneider in Deutschland. Sie und ihre Kollegen arbeiten in der Union der Mohalim mit Sitz in Wien zusammen.  


Hygienische Bedingungen sind heute Voraussetzung für jede Beschneidung, meist werden auch schmerzlindernde Medikamente eingesetzt. Stattfinden kann sie zu Hause, in der Synagoge oder im Gemeindesaal. Soll ein Junge nach dem sechsten Lebensmonat beschnitten werden, muss das allerdings von einem Arzt getan werden.

Rabbiner / Rabbinerin

Der Begriff „Rabbiner“ bedeutet „Meister“ oder „Lehrer“ und geht auf das hebräische Wort für „groß“ zurück. Rabbiner oder Rabbinerin empfangen im Gottesdienst der [Synagoge][1]  zusammen mit dem Kore und dem [Kantor][2] oder der [Kantorin][2] die Torarolle, die aus dem [Toraschrein][3] genommen wurde, an der [Bima][4]. Seine/ihre Hauptaufgabe in der Gemeinde ist es, die [Tora][5] zu lehren und, darauf basierend, religiöse Entscheidungen zu treffen. Im Gottesdienst legt er/sie die Tora aus, im zivilen Bereich in der [Diaspora][6] hat er/sie auch eine richterliche Rolle, vor allem, wenn es um Ehescheidungen geht. Zudem leitet er/sie die Gemeinde und hat seelsorgerliche Aufgaben. Als ersten Rabbiner nennt die [Mischna][7] Jochanan ben Sakkai, der im ersten Jahrhundert vor unserer Zeit tätig war. Die Aufgabe der frühesten Rabbiner war es, die schriftliche und mündliche Tora zu diskutieren und für die Nutzung durch die Gemeinden zu kodifizieren, d.h. in ihrer Auslegung festzulegen. Heute erfolgt die Ausbildung von Rabbinern und Rabbinerinnen in einer [Talmud][8]hochschule („Jeschiwa“), im Rabbinerseminar oder durch ein Studium an einer jüdischen Hochschule. Die Ausbildung dauert fünf bis sieben Jahre und beinhaltet wissenschaftliche Methoden zur Auslegung der Schriften und ein Studium der Religion, Kultur, Literatur und Geschichte des Judentums. Rechtsgelehrsamkeit und Hebräisch kommen hinzu. Die Einsetzung als Rabbiner oder Rabbinerin heißt „Semicha“. Ob auch Frauen die Funktion einer Rabbinerin ausüben dürfen, kommt auf die Frömmigkeitsrichtung der Gemeinde an. In orthodoxen Gemeinden werden sie meist nicht ordiniert, es gibt aber orthodoxe rabbinische Studentinnen. Die erste ordinierte Rabbinerin in Deutschland war Regina Jonas aus Berlin; sie wurde 1935 durch einen Reform-Rabbiner ordiniert, 1944 ermordet. In den USA erhielt Sally Jane Priesant 1972 die Ordination als erste weibliche Rabbinerin. 2009 wurde Sara Hurwitz vom modern-orthodoxen Rabbiner Avi Weiss ordiniert. Sie trug den Titel „Maharat“ und arbeitet in einer modern-orthodoxen Gemeinde als Rabbinerin. Seit 2010 trägt sie den Titel „Rabba“, was innerhalb der jüdischen Orthodoxie und vor allem in der Ultraorthodoxie heftige Kritik hervorgerufen hat.


[1]: "Synagoge"

[2]: "Kantor / Kantorin"

[3]: "Toraschrein"

[4]: "Bima"

[5]: "Tora"

[6]: "Diaspora"

[7]: "Mischna"

[8]: "Talmud"

Sofer

Ein Sofer ist ein speziell ausgebildeter Schreiber, der die [Tora][1] per Hand auf eine große Pergamentrolle schreibt, die dann im Gottesdienst in der [Synagoge][2] verwendet werden kann. Dazu bereitet sich der Sofer mit bestimmten Gebeten vor und benutzt auch besondere Tinte und besonderes Pergament, auf dem der Text verzeichnet wird. Fehler dürfen beim Schreiben nicht gemacht werden, denn sonst ist der Text nicht perfekt und entspricht nicht der Heiligkeit des Wortes Gottes. Ein Sofer schreibt neben den Torarollen auch Texte für die Nutzung in der [Mesusa][3] oder Verheiratungsurkunden. Daher ist Sofer ein Beruf, der auch im zivilen Bereich eine Bedeutung hat.


[1]: "Tora"

[2]: "Synagoge"

[3]: "Mesusa"

Stolpersteine

Das Projekt „Stolpersteine“ wurde in den 1990er Jahren von dem Künstler Gunter Demnig begonnen. Er verlegt im Boden vor den Wohnhäusern von NS-Opfern kleine Messingtafeln in der Größe 96 x 96 mm und 100 mm Höhe. Auf ihnen vermerkt sind die Namen und, wenn möglich, Lebensdaten von Menschen, die im Verlauf der Herrschaft des Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Zunächst als eine Erinnerung an Sinti und Roma gedacht, gibt es nun Stolpersteine für alle von den Nationalsozialisten verfolgte Gruppen, die meisten natürlich für jüdische Menschen. Demnigs Idee war, den Ermordeten, die in den Konzentrationslagern oft nur mit einer Nummer bezeichnet waren, wieder einen Namen zu geben. Das Bücken vor den Steinen, das erforderlich ist um den Text zu lesen, soll eine Verbeugung vor den Opfern symbolisieren. Inzwischen gibt es über 75.000 Stolpersteine in Deutschland und Europa, darunter auch viele in Thüringen so zum Beispiel in Altenburg, Apolda, Bad Blankenburg, Eisenberg, Gera, Kahla, Rudolstadt, Saalfeld, Weida und Zella-Mehlis. Zusammen stellen sie ein großes, vielleicht das größte, dezentrale Mahnmal dar. Das Projekt hat aber auch seine Kritiker. So empfindet es Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kulturgemeinde München als „unerträglich“, dass die Namen von Juden „mit Füßen getreten werden“.

Stuss

„Rede doch keinen Stuss!“ Auch das umgangssprachliche und abwertende „Stuss erzählen“ ist ein Beispiel dafür, wie sich ursprünglich hebräische Wörter über das Westjiddische und die deutsche Sprache hinein entwickelt hat. „Stuss erzählen“ heißt „dummes Zeug erzählen“. Der Begriff leitet sich vom hebräischen Wort Schtut ab, was „Irrsinn“ und „Narrheit“ bedeutet.

Tacheles

„Jetzt red‘ doch mal Tacheles!“ heißt „Rede nicht um den heißen Brei herum, sei offen und ehrlich!“   Der Begriff kommt aus dem Jiddischen und dem Hebräischen, und zwar vom Begriff tachlit, „Zweck“. Es bezeichnet das „zweckmäßige Reden“.  Wann der Begriff in’s Deutsche übernommen wurde und wie es sich verbreitete, ist nicht ganz klar. Heute wird „Tacheles“ oft in den Medien benutzt, wenn jemand ausdrücken will, dass eine Sendung oder eine Institution unverblümt offen ist. So gibt es eine Radiosendung im Deutschlandradio Kultur, ein Theater in Aachen, eine Wochenzeitung in der Schweiz und Rockbands und Cafes, die so heißen.

Tohuwabohu

Ein großes Durcheinander ... wenn man das beschreiben will, sagt man manchmal „ein großes Tohuwabohu“. Der Begriff kommt direkt aus der hebräischen Bibel, dem Alten Testament. Dort heißt es in 1. Mose 1,1-2, dem Buch Genesis bzw. dem ersten Buch der [Tora][1]: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war _tohu wa-bohu._“ Aber was heißt der hebräische Begriff _tohu wa-bohu? _Von Martin Luther als „wüst und leer“ übersetzt, sagen manche modernere Bibelübersetzungen auch „formlos und leer“. Allerdings handelt es sich, grammatisch gesehen, um ein sogenanntes Homoioteleuton, einen kunstvolle Wiederholung von Wörtern, die dieselbe Wortendung aufweisen. Die sehr sprachsensiblen Übersetzer der hebräischen Bibel Martin Buber und Franz Rosenzweig haben deshalb Tohuwabohu mit „Irrsal und Wirrsal“ übertragen.


[1]: "Tora"